Dipl.-Ing. Peter Rauch
Immer mehr gelangt man zu der Erkenntnis, daß sich der Mensch inmitten einer Welt der Übertechnisierung nicht wohl fühlt. Baustoffe und Bauweisen nehmen nicht immer auf den Menschen und seine Natur Rücksicht. Oft steht die Lösung technischer Probleme sowie wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund. Obwohl bereits viele Kenntnisse zur Wohnphysiologie vorliegen, sind nicht alle Grundfragen geklärt.
Hinzu kommt die Tatsache, daß nicht alle Menschen in gleicher Art und Weise auf verschiedene Baustoffe reagieren. Zum Beispiel ist der Einsatz von Beton nicht überall baubiologisch ungünstig und Holz als gut einzuordnen. Es kommt vielmehr auf die richtige Kombination einzelner Konstruktionen und Baustoffe an, die zu einem gewünschten Gesamtergebnis führen, in dem sich der Bewohner wohlfühlt und in dem sein gesamtes physisches und psychisches Befinden gefördert wird. Gerade in der heutigen Zeit ist der arbeitende Mensch bemüht seine Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu erhalten. Auch für das Unternehmen hat eine gesunde Bauhülle, wo die Mitarbeiter täglich arbeiten, ebenso eine große Bedeutung. Es kann der Krankenstand, die Ausfallzelten und das Leistungsvermögen beeinflußt werden und stellt so einen Kostenfaktor dar.
Bereits der Arndt-Schulz'schen Regel aus dem 19. Jahrhundert ist zu entnehmen, daß lebende Organismen Reize zur Aufrechterhaltung ihrer Funktionen benötigen, daß zu starke Reize schädigend wirken. Untersuchungen ergaben, fehlen Reize vollkommen, so zersetzt sich das menschliche Blut bereits nach wenigen Minuten. Es muß also immer ein bestimmter Einfluß auf den Organismus erfolgen. Der Körper reagiert und es entsteht ein Reiz-Antwort-System. Die Gesundheit des Menschen hängt von der Harmonie des individuellen Leistungsoptimums körperlich, seelisch und geistig ab.
Die Baubiologie versucht, die verschiedenen Systeme, die auf das Bauen einwirken, aufzuzeigen (zum Beispiel Umwelt, Gesundheit, Psyche, Geist, Formen und ihre Bedeutung, Landschaft, Kultur usw.) Das führt zur ganzheitlichen Betrachtung.
Viele der Teilbereiche des gesunden Bauens kann der Bewohner selbst beeinflussen. Zum Beispiel das physische Wohnbedürfnis. Durch geschickte Raumaufteilung, wie die Wahl der Möbel und ihren Standort, und durch die Farbgestaltung kann optisch die vorhandene Raumgröße verändert werden. In kalten Räumen sollten warme Farbtöne verwendet werden. Untersuchungen ergaben, daß der Temperaturunterschied bei gleicher Behaglichkeit und im gleichen Raum nur bei anderer Farbgestaltung bis zu 2°C betragen kann.
Für die Energieeinsparung hat dies schon eine beachtliche Bedeutung. Als besonders angenehm empfinden wir, wenn der Körper nicht über seine Wärmeproduktion hinaus entwärmt wird, d.h. keine Strahlungsverluste auftreten. In diesem Zustand wird auch eine niedrige Lufttemperatur nicht als störend empfunden, z.B. Körperoberflächentemperatur bei normaler Kleidung 21°C, Lufttemperatur 17°C und Wandtemperatur 20°C. In der Praxis ist die Wandtemperatur niedriger, so daß die Lufttemperatur höher sein muß. Mit Hilfe der Erhöhung der Raumoberflächentemperaturen können die Wände innen mit wenig wärmeleitenden Materialien, wie Holz, Kork, Stoff usw. verkleidet werden. Bereits 2 K Temperaturunterschied zwischen der Oberflächentemperatur der Wände und der Lufttemperatur führen zu Luftbewegungen. Luftgeschwindigkeiten von mehr als 0,2 m/s führen zu einer verstärkten Wärmeabgabe der Hautoberfläche und ggf. zu Muskelentzündungen oder Erkältungen.
Ebenso führt über Jahre hinweg ein gleichmäßiges Innenraumklima zu körperlicher und geistiger Ermüdung infolge fehlender Reize. Deshalb sollten unterschiedlich genutzte Räume verschiedene Temperaturen aufweisen. Die Innentemperatur sollte auch bei starkem Wechsel der Außentemperatur konstant bleiben. Gerade in Bürogebäuden sollte die Belüftung und die Heizung nach individuellen Wünschen erfolgen, um das "Sick Building Syndrom" zu vermeiden.
Mit Hilfe der Technologie des Trockenbaus, welche fast unerschöpflich variantenreich ist, lassen sich durch einen handwerklich geschickten Bewohner die Räume den heutigen Wohnansprüchen umgestalten. Allerdings können nicht ohne weiters alte Wände herausgerissen werden.
Bevor jedoch die Modernisierungarbeiten beginnen, sollten genaue Bau- und Materialbeschreibungen beim Kauf angefordert werden. Zu beachten sind gesetzliche Bau- und Standardvorschriften sowie allgemeine Regeln der Bautechnik. Leider sind nicht alle baubiologisch günstigen Baustoffe im Angebot. Bei speziellen Baumaßnahmen und vor allem mit größerem Umfang sollte auf jedem Fall eine Fachfirma konsultiert bzw. beauftragt werden, um mögliche Spätfolgen, die aus unsachgemäßer Bauausführung resultieren, auszuschließen bzw. möglichst gering zu halten.
Neben der gesunden Bauhülle muß immer das engere und weitere Wohnumfeld mit seinen vielfältigen Einflußfaktoren und seiner Wechselwirkung einbezogen werden. Leider wurde dies viele Jahre nur ungenügend berücksichtigt.
So treten Umweltbeeinträchtigungen bereits mit Beginn des Bauvorhabens auf. Auch wenn bereits in der Bauplanung die größtmögliche Schonung der für den Naturhaushalt wichtigen Flächen angestrebt wird, wird das naturnahe Bodengefüge vernichtet, Vegetationsbestände zerstört und der Oberflächenwasserfluß verändert. Die DIN 18920 Schutz von Bäumen, Pflanzenbeständen und Vegetationsflächen bei Baumaßnahmen gibt Hinweise, wie Beeinträchtigungen der Vegetation möglichst gering gehalten werden können. Der vorhandene Baumbestand auf dem Gelände sollte erhalten bleiben. Gleiches gilt für die natürliche Bodendecke. Neuanpflanzungen sind nur auf längere Sicht ein Ersatz. Auch versiegelte Flächen sind nicht überall notwendig. Für Autozufahrten und -stellplätze eignen sich auch Rasengittersteine oder Schotterrasen, überbaute Flächen sollten so gering wie nötig ausgelegt werden.
Generell sollte den Erneuerungsmaßnahmen und der Entwicklung im Bestand Vorrang vor neuen Baugebietsausweisungen gegeben werden. Allerdings haben nicht alle Baugrundstücke günstige Bedingungen. Es müssen teilweise neue gestalterische und konstruktive Lösungen gefunden werden. So sollte zu jeder Wohnung ein kleiner Garten gehören, wo sich die Familie individuell zurückziehen kann. Das man diesem Aspekt früher große Aufmerksamkeit schenkte, beweisen Neubauten aus den 30er Jahren in Leipzig in der Holsteinstraße in der Anhalterstraße.
Auf dem ehemaligen Gelände der Akademie der Wissenschaften (Permoser Str.) oder bei Pittler (Wahren) befanden sich Schwimmbecken und Grünanlagen, die zur Erholung während oder nach der Arbeitszeit dienten. Das entspricht den Philosophien großer Unternehmen in den alten Bundesländern bereits seit vielen Jahren. Bei den Baulandpreisen und der engen Bebauung, wie im Stadtzentrum, muß hierfür ein Ersatz geschaffen werden, wie Dachgärten, Balkonflächen oder Wintergärten. Die vielerorts angebotenen "organisierten Freizeitparks" gehören in das moderne Leben, sind aber kein Ersatz.
Ein weiterer und sehr wichtiger Punkt ist die Lage des Gebäudes. Geht bei einem Haus in freier, ungeschützter Lage 100% Wärme verloren, so sind das in einer Kaltluftmulde bereits 125%, auf einer Bergkuppe 110% und einem Südhang aber nur 85%. Wird das Gebäude so gestaltet, daß es sich nach Norden schließt und nach Süden öffnet, kann wiederum Energie gespart werden. Konstruktiv gute Lösungen, wo die Kälte und Wärmelast berücksichtigt wird, sind auf lange Sicht wirtschaftlich. Einige Beispiele sollen hier genannt werden. Die Garage oder der Geräteschuppen wird an die westliche oder nördliche Hauswand angesetzt. Die Fensterfläche wird möglichst klein gehalten. Auf dieser Grundstücksseite sollte auch die Bepflanzung erfolgen. Bei der südlichen Seite wird die Fensterfläche größer gestaltet, um die Sonnenstrahlung als Wärme (ca. 80%) für den Raum zu nutzen. Das ist auch der Standort für den Wintergarten. Bei der Projektierung sind die entsprechenden Strahlungsregulatoren, wie Sonnenschutz, die Wärmespeicherung und die Wärmeregulation zu berücksichtigen. Um eine Verschattung auf der Südseite zu vermeiden, ist ein Abstand, der einer 3fachen Höhe des Nachbargebäudes entspricht, zu wählen. Werden bereits bei der konstruktiven Gestaltung des Gebäudes, auch bei bautechnischen Umbauten oder Veränderungen, bauphysikalische, baubiologische, anwendungsfreundliche und gesamtgestalterische Kenntnisse vereint, so schlägt sich das natürlich auch auf die Wohnqualität und auf künftige niedrigere Unterhaltungskosten für das Gebäude nieder.
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